Das Samariter-Experiment

Der barmherzige Samariter von Wilhelm Altheim (1871-1914) (Kunsthandlung J.P. Schneider) [Public domain], via Wikimedia Commons
Der barmherzige Samariter von Wilhelm Altheim (1871-1914) (Kunsthandlung J.P. Schneider) [Public domain], via Wikimedia Commons

Anderen Personen Hilfe zu leisten würde wohl so ziemlich jeder als wichtig erachten. Egal ob es um Kleinigkeiten wie das Aufheben einer Tasche geht oder um Erste Hilfe bei Unfällen, Menschen helfen einander. Woran kann es aber liegen, wenn Menschen nicht oder kaum helfen? Wie wirken sich die Umstände auf ihre Hilfeleistung aus? Dieser Frage sind die beiden Forscher Darley und Batson anhand des „Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter“ nachgegangen – und haben erstaunliche Ergebnisse zu Tage gebracht.

Unmoralisch – oder doch nicht?

Wenn Menschen anderen keine Hilfe leisten oder nur in unzureichendem Maße, dann halten wir sie schnell für unmoralisch. Es drängt sich die Frage auf, ob dies die einzige Erklärung für ein solches Verhalten sein kann oder ob es vielleicht andere, weit tragendere Gründe geben könnte. Die beiden Forscher Darley und Batson sind der Fragestellung, wie sich situationale Faktoren (die Situation) und dispositionale Faktoren (die momentanen Gedanken) auf die Hilfeleistung in einer Notsituation auswirken können, in einer Studie nachgegangen.

Die Studie vom barmherzigen Samariter

Inspiriert vom Gleichnis des Barmherzigen Samariters haben sie sich Theologiestudenten als Testpersonen herausgesucht. Diese wurden eingeladen an der Studie teilzunehmen – allerdings wurde ihnen der wahre Grund der Untersuchung vorenthalten. Wie bereits erwähnt sollten die Einflüsse von momentanen Gedanken und der Situation auf Hilfeverhalten untersucht werden. Um die zu erreichen wurden den einzelnen Testpersonen unterschiedliche Aufgaben gestellt und gleichzeitig die situationalen Gegebenheiten leicht abgeändert.

Manipulation der dispositionalen Faktoren (momentane Gedanken)

Der einen Gruppe an Testpersonen wurde erzählt, dass es ihre Aufgabe sei einen Vortrag über berufliche Zukunftschancen von Theologiestudenten zu halten. Die andere Gruppe sollte ihre Gedanken über das Gleichnis des barmherzigen Samariters in einem Vortrag darlegen. So wurde dafür gesorgt, dass die eine Gruppe sich in Gedanken vorrangig mit weltlich-alltäglichen Themen beschäftigte, die andere mit moralischen Fragen.

Manipulation der situationalen Faktoren (Situation)

Jede der beiden Gruppen erhielt wiederum drei unterschiedliche Angaben, um die Situation unterschiedlich zu gestalten. Dieser Unterschied stellte in Form von „Zeitdruck“ dar. Einigen Teilnehmern wurde gesagt, sie hätten noch genug Zeit um sich Gedanken zu machen und in das andere Gebäude zu gehen, in dem der Vortrag stattfinde. Weiteren wurde gesagt, sie sollten losgehen, dann hätten sie drüben noch ein wenig Zeit. Wieder anderen wurde gesagt sie sollten sich beeilen, sie wären bereits spät dran.

Ablauf des Experiments

Nach der Instruktion machten sich die Teilnehmer auf den Weg in ein anderes Gebäude um dort ihren Vortrag zu halten. Sie begegnet dabei einem Mann der in der Nähe der Türe nach draußen auf dem Boden lag und den Anschein erweckte, er bräuchte Hilfe. Der Mann war eingeweiht und bewertete gleichzeitig das Verhalten der Teilnehmer ihm gegenüber auf einer mehrstufigen Skala.

Nach dem Vortrag wurden die Teilnehmer noch befragt und über das Experiment aufgeklärt.

Ergebnis

Anders als man erwarten würde, hatten die Gedanken, mit denen sich die Teilnehmer beschäftigten eher weniger Einfluss auf das gezeigte Verhalten, zumindest nicht in einem signifikanten Maß. Sehr großen Einfluss auf ihr gezeigtes Verhalten hatte jedoch der „Zeitdruck“ mit dem sie unterwegs waren. Diejenigen mit der wenigsten Zeit zu ihrer Verfügung zeigten im Schnitt auch am wenigsten Hilfeverhalten – ein erstaunliches Ergebnis. Dies deckte sich auch mit der Befragung, die im Anschluss stattfand. Auf die Frage, wieso sie dem Menschen nicht geholfen hätten, gaben viele an, dass sie den Menschen zwar gesehen hätten, aber gar nicht darüber nachgedacht hätten ob dieser Hilfe brauchen könnte oder nicht. Sie waren wegen ihrer wenigen Zeit und der gestellten Aufgabe einfach so in Gedanken, dass sie den Menschen zwar gesehen aber gar nicht wirklich wahrgenommen hatten.

Was können wir nun aus dieser interessanten Untersuchung mitnehmen?
Menschen sind oft nicht so, wie sie für uns zu sein scheinen. Wie haben einfach viel zu wenig Einblick in ihre tatsächlichen Gefühle und Gedanken. Wenn wir jemanden kaum kennen, dann sollten wir sehr vorsichtig sein, Handlungen und Aussagen in Persönlichkeitseigenschaften zu verwandeln – wir könnten damit weit daneben liegen.

Wenn wir andere Menschen beobachten sind wir leider stets geneigt, Handlungen ihren Persönlichkeitseigenschaften zuzuschreiben. Verhalten wir uns jedoch selbst unangebracht, erachten wir meist Umstände oder Faktoren außerhalb von uns als ursächlich für unser Handeln. Wir sollten auch anderen Menschen zugestehen, dass Verhalten durch weit mehr als allein durch Persönlichkeitsfaktoren bestimmt ist.

Wir sollten also etwas nachsichtiger gegenüber Menschen sein, von denen wir denken sie hätten uns absichtlich nicht geholfen – vielleicht waren sie einfach nur zu beschäftigt. Wir könnten uns auch vornehmen weniger Dinge in unseren Tag zu packen, früher loszufahren und mehr Zeit mitzubringen. Vielleicht nehmen wir so die Menschen besser wahr, die um uns herum Hilfe brauchen.

Originalstudie: Darley, J. M., & Batson, C. D. (1973). From Jerusalem to Jericho: A study of situational and dispositional variables in helping behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 27, 100-108

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